Geheimnisse am Kamin – Teil 3: In der Nacht

Tanja, 12, September 2023

Es ist 4 Uhr nachts. Ich bin in der Bibliothek. Sitze in einem gemütlichen Sessel und trinke eine Tasse heißen, würzig duftenden Beruhigungstee. Der Spartherm-Kamin leuchtet. Sein weicher Schein umspielt das schöne Gesicht meiner Oma. Jedes ihrer Fältchen erzählt eine Geschichte. Sie lächelt amüsiert. Doch eins nach dem anderen…

 

Im Mondlicht

Ich trinke meinen Tee und denke an die Ereignisse dieser Nacht. Sie sind gerade mal wenige Stunden her und die Eindrücke sind noch ganz frisch. Ich schwanke zwischen Schock und Faszination.

 

Die Erinnerungen fließen wie ein Film vor meinem inneren Auge:

 

Es ist kurz nach Mitternacht. Ich schaue hypnotisiert durch den Vorhang. Der Nachbargarten liegt im Mondlicht. Die beiden Jungs versuchen, sich im Schatten zu halten. Aber sie wollen ganz offensichtlich zum Haus, also müssen sie raus aus der Deckung und rüber zur Terrasse. Sie nehmen nicht den Vordereingang, sondern schleichen zur Seitentür.

 

Ich weiß, dass niemand im Haus ist. Die Nachbarin ist zusammen mit ihren Freunden weggefahren. Wahrscheinlich in einen Nachtclub. Ihr Freund und sein Kumpel müssen heimlich zurückgekehrt sein.

 

Die Seitentür des Nachbarhauses öffnet sich problemlos von außen. Stimmt, der Abschlussklässler hatte ja daran herummanipuliert. Wahrscheinlich hatte er den Türrahmen innen mit Klebeband verklebt, dann fällt die Tür nicht mehr richtig zu.

 

Auf der Suche

Von meinem Fenster aus kann ich nur noch ganz schwer erkennen, was im Nachbarhaus passiert. Der Winkel ist nicht optimal. Ich wechsele die Location und renne ins Bad. Vom Bad aus kann man perfekt ins Nachbarhaus schauen, es befindet sich von dort aus direkt gegenüber.

 

Ich beobachte, verborgen in der Dunkelheit. Im Nachbarhaus huschen Lichter durch die Räume. Sie verweilen in einem Raum im Obergeschoss. Dort befindet sich das Arbeitszimmer vom Vater meiner Nachbarin.

 

Die Taschenlampen huschen über Wände, Regale und den Schreibtisch. Schubladen werden aufgerissen. Papier fliegt auf den Boden. Ganz offensichtlich suchen die beiden etwas. Etwas, das ihnen nicht gehört.

 

Das reicht mir. Ich rufe die Polizei.

 

Nachts am Kamin

„Aber was haben sie denn gesucht, Oma?“

 

Ich bin wieder im Hier und Jetzt. Der Spartherm-Kamin in unserer Bibliothek wirft geheimnisvolle Schatten an die endlosen Bücherregale. Es ist im Moment die einzige Lichtquelle, dieses natürliche Licht eines Holzfeuers. Das elektrische Licht ist aus.

 

Das Blaulicht draußen ist auch bereits wieder erloschen. Die beiden Jungs wurden mit Streifenwagen abtransportiert. Die junge Nachbarin ist wieder aufgetaucht, sie wurde wohl von der Polizei informiert, dass es in ihrem Haus einen Einbruch gab. Ihre Romanze mit dem Abschlussklässler dürfte vorbei sein.

 

„Nun,“ lächelt meine Oma. „Ich vermute, sie suchten die Schatzkarte.“

 

„Die Schatzkarte?“ Ich verschlucke mich fast an meinem Tee.

 

„Die Schatzkarte,“ nickt meine Oma ernst. Das Flammenleuchten spielt faszinierend mit ihren Lachfältchen.

 

„Winfried, der verstorbene Großvater unserer jungen Nachbarin,“ fährt meine Oma fort, „war ein ziemlicher Abenteurer. Es ist überliefert, dass er in den 60-ern einen Schatz ergattert und ihn auf dem Grundstück seines besten Freundes und Nachbarn vergraben hat. Du kennst bestimmt inzwischen das verwaiste Grundstück nebenan. Der Besitzer dieses Grundstücks hinterließ als Erben seine beiden Enkel, die beiden jungen Männer von heute Nacht. Die beiden haben nach dem Tod ihres Großvaters das gesamte Grundstück umgegraben, aber keinen Schatz gefunden.“

 

„Also gab es eine Karte zu dem Versteck? Und die vermuteten die Enkel beim Vater der Nachbarin?“

 

„Richtig. Winfried soll die Karte seinem besten Freund und Nachbarn überlassen haben. Da die Enkel sie in dessen Nachlass aber nicht fanden, vermuteten sie, dass ihr Großvater sie an Winfried zurückgegeben hatte. Und Winfried, so vermuteten die Enkel, habe die Karte an seinen Sohn vererbt.“
 

„Aber dem war nicht so?“

 

„Mitnichten,“ sagt meine Oma und steht auf.

 

Sie geht in die Tiefen der Bibliothek und kehrt mit einem vergilbten Stück Papier zurück. Ich nehme es von ihr entgegen und entfalte es vorsichtig. Es raschelt angenehm. Es ist eine Schatzkarte.

 

„Der beste Freund von Winfried war nicht der Besitzer des verlassenen Grundstücks,“ erklärt meine Oma. „Das war ich. Und auch der Schatz ist nicht auf dem verwaisten Grundstück vergraben. Sondern hier bei uns. Nimm die Karte, Tanja, Liebes, schau sie dir gut an und bewahr sie gut auf. Ohne die Karte wird es unmöglich sein, den Schatz zu finden. Er ist sehr klein. Ein winziger Edelstein, rot wie Feuer, rar und kostbar. Er gehört dir.“