Im Schein der Vulkanflammen

Dianne, 37, März 2023

Der Winter hatte erst kürzlich den Rückzug angetreten und es war noch ziemlich kühl draußen. Aber zwischen den milchigen Wolken und dem silbrigen Schneeregen lugte immer öfter die Sonne hervor und die Temperaturen kletterten nach oben. Ich saß vor den Vulkanflammen…

 

Vulkanflammen aus Wasserdampf

… Ich saß vor meiner e-Matrix im Wohnzimmer und genoss die Nebelflammen. Ich nenne sie Vulkanflammen. Von Halogenleuchten angestrahlter Wasserdampf schwebt so rauchig und pyramidenförmig über den Holzscheiten, dass ich beim Hinschauen an den Vesuv denken muss.

 

Er mutet mich esoterisch an, mein Vulkan aus Wasserdampf. An ruhigen Abenden setze ich mich davor, in meinen großen Bast-Sessel mit der kunstvoll gestalteten Lehne, den flauschigen grasgrünen Teppich auf dem Boden, eine dampfende Tasse Kräutertee in der Hand. Während sich der orange-rote Rauch in der Matrix kringelt und leise Musik die urgemütliche Stimmung abrundet, lege ich mir eine Runde Tarot-Karten.

 

Prophezeiung am Kamin

An diesem Abend im Frühjahr zog ich nur eine einzige Karte. Die Karte des Tages. Doch der Tag war schon fast vorbei, ich hatte nichts mehr vor und ließ ihn gerade ausklingen. Als mir die Karte deshalb sagte, die Vergangenheit würde mich heute einholen, glaubte ich an einen Auslegungsirrtum – ich bin ja nur ein Laie im Tarot.

 

Ich hatte allerdings mal gelesen, das Befragen von Tarot-Karten im Schein des Feuers mache deren Botschaften besonders präzise. Vielleicht galt das ja nicht für Feuer aus Wasserdampf?

 

Die hypnotischen Flammen machten mich müde, meine Augenlider wurden schwer, die wogende Wärme im Zimmer wiegte mich in den Schlaf. Das Klingeln an der Tür verschmolz beinahe mit der Musik. Beinahe hörte ich es nicht.

 

Magie aus der Matrix

Die Vergangenheit, dachte ich belustigt. Ich erhob mich und öffnete die Tür. An der Schwelle stand eine attraktive Frau von 37 Jahren. Ich war kein bisschen überrascht. Die Karten hatten es mir ja gesagt.

 

Ich betrachtete sie im Kaminschein. Der Rauch schwebte. Das Feuer tanzte. Ihre kastanienroten Haare waren genauso wellig wie meine. Ihre großen grünen Augen trugen etwas weniger und helleren Lidschatten als die meinen. Sie war nicht so extravagant gekleidet wie ich, eher sportlich, aber es stand ihr hervorragend.

 

Ich hatte Jahrzehnte nach ihr gesucht. Seit ich mit 18 erfahren hatte, dass es sie gibt und dass wir nur wenige Minuten gemeinsam gehabt hatten.

 

Aber sie war es, die mich gefunden hat. Meine verlorene Zwillingsschwester Nadine.