Ein sinnliches Feuerwerk

Michael, 54, April 2021

April. Das Wetter schwankt. Mal regnet es in Strömen, mal blickt die Sonne durch, kurz darauf beginnt es zu stürmen und zu hageln. Ich entziehe mich den Wetterkapriolen und entspanne in meinem Kaminzimmer. Dort erwartet mich eine Kur für die Seele und ein Schauspiel für die Sinne.

Der Feuertanz – ein visuelles Meisterwerk

Meine Augen verlieren sich in den visuellen Windungen des Kaminfeuers. Die virtuos tanzenden Feuerschweife gleiten, springen, hüpfen, wogen, schlängeln sich über die raue Oberfläche der massiven Holzscheite. Ihre leuchtenden Farben variieren zwischen Glutorange, Scharlachrot, Bernsteingelb, Roségold, Fuchsia und Purpur. Die Formen ändern sich in Sekundenbruchteilen von länglich-schmal, zart gebogen oder fein zerfranst zu voluminös, üppig, breitflächig, schnurgerade oder kugelrund.

 

Es ist eine eigene visuelle Welt. Eine Welt voller schneller, flüchtiger, variabler Bilder, Augenblicke, Momentaufnahmen, Impressionen und Facetten. Der Betrachter wird mitgerissen von einer unbändigen Dynamik. Und doch wirkt das große Ganze entschleunigend, beruhigend und harmonisch und strahlt eine grenzenlose Beständigkeit aus, ja fast eine gewisse Ewigkeit.

 

Das Feuerknistern – ein akustisches chef d'oeuvre

Die Akustik des Feuers ist einzigartig. Als Begleitung zum grandiosen visuellen Schauspiel oder ganz für sich allein, denn wenn ich die Augen schließe, reißt mich die Musik des Feuers um so stärker mit, entführt mich in eine neue akustische Welt, regt meine Fantasie an und entfesselt meine Gedanken.

 

Das Knistern. Das Flüstern. Das Rauschen. Volle, warme Töne, spitze, zackige Nuancen, zischend sprühende Funken, knackend glühende Borke. Aufwühlendes Crescendo, entwarnendes Diminuendo, aufregendes Staccato. Nachhallende Akkorde, kurzweilige Viertel- und Achteltakte, unzählige Oktaven an weicher, vibrierender, hypnotischer Stimme des Feuers.

 

Der Duft des Holzfeuers – eine olfaktorische Köstlichkeit

Und schließlich der Duft. Die Olfaktorik des Feuerspiels. Das Holzfeuer ist da ohnegleichen. Es liefert die ganze Palette an feinen und tiefen, dezenten und intensiven, reichhaltigen und betörenden Aromen des Flammenbouquets.

 

Würzig, holzig, rauchig. Warm, erdig, ätherisch. Sehr natürlich und ursprünglich riecht das Kaminfeuer. Doch dies ist nur die Kopfnote. Nach innigem Hineinfühlen offenbaren sich die wahren Geheimnisse des Feuerdufts.

 

Das Kaminfeuer riecht nach Wald, Harz, Laub, Sommer. Nach geselligen Nächten am Lagerfeuer, schlaflosen Stunden unter dem Sternenhimmel. Nach alten Erinnerungen. Nach dem ersten Herzschmerz. Nach der unvergesslichen Jugendliebe. Nach der tiefen, unverbrüchlichen Freundschaft.

 

Draußen tost der April. Unstet und launenhaft. Er scheint mir ganz weit weg. Die Sinne gebannt von dem inspirierenden Schauspiel hinter dem Panoramaglas, entfliehe ich dem unentschlossenen Frühjahr – und habe vollkommen andere Bilder vor Augen, vollkommen andere Gedanken im Kopf…